Themenfeld 2 – Atypische Beschäftigung: prekär, aber autonom?

Leitung: Prof. Dr. Michael Dick und Dr. Gina Mösken

Informationen

Spätestens mit dem Beginn der Industrialisierung haben technologische und gesellschaftliche Umwälzungen Menschen vor immer wieder neue Herausforderungen gestellt. Automatisierung, Informatisierung und aktuell die digitale Vernetzung beschreiben technisch-organisatorische Umwälzungen der Arbeitswelt, deren soziale Folgen nicht nur in den Betrieben, sondern auch darüber hinaus spürbar sind. Ein in jüngerer Zeit erkennbarer Trend betrifft die Beschäftigungsformen und -beziehungen. Seit 1991 ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten von 14% auf 28% angestiegen. 2015 geht etwa jede/r fünfte Erwerbstätige einem atypischen Beschäftigungsverhältnis nach, das betrifft 7,5 Mio. Arbeitnehmer/innen. Darunter fallen Teilzeitbeschäftigung unter 20 h / Woche, befristete Beschäftigung, Zeitarbeit und geringfügige Beschäftigung. Dabei fällt ein Geschlechterunterschied auf: Insgesamt sind 2015 11,7% der Männer atypisch beschäftigt, aber 31,2% der Frauen. Insgesamt spielen flexible Beschäftigungsformen eine immer wichtigere Rolle im Arbeitsleben. Sozial- und arbeitswissenschaftliche Konzepte zur Qualität der Arbeit beruhen jedoch zum allergrößten Teil auf empirischen Untersuchungen im klassischen industriellen Kontext. Daher wird ein erweiterter Arbeitsbegriff diskutiert. Dieser schließt Arbeitsformen und Tätigkeiten jenseits des Normalarbeitsverhältnisses ein, bspw. frei-gemeinnützige Arbeit.

Atypische Beschäftigung wird in der öffentlichen Diskussion meist in ihrer wirtschaftlichen Dimension thematisiert. Einerseits fördert sie die Flexibilität des Arbeitsmarktes, andererseits wird sie für prekäre Lebensverhältnisse verantwortlich gemacht. Arbeit ist jedoch mehr als wirtschaftliche Existenzsicherung, sie ist eine wichtige Form der sozialen Integration und kann als sinnhafte Tätigkeit die persönliche Entfaltung, Zufriedenheit und Antriebskraft fördern. Diese Dimensionen der Arbeit sind von der Arbeitsforschung hinreichend in ihrer Bedeutung beschrieben, allerdings fast ausschließlich in Bezug auf das Normalarbeitsverhältnis. Erkenntnisse der Freiwilligenforschung weisen darauf hin, dass auch freiwillig verrichtete, unbezahlte Arbeit diese Qualitäten aufweist. Unter bestimmten Umständen kommt diese frei-gemeinnützige Arbeit den Idealvorstellungen von Arbeit sogar näher als die normale Erwerbsarbeit.

Könnte dies – unter bestimmten Umständen – nicht auch auf atypische oder geringfügige Beschäftigung zutreffen? Könnten nicht auch diese die Autonomie und persönliche Entfaltung fördern, soziale Integration erleichtern und ein insgesamt reichhaltiges, befriedigendes und motivierendes Leben ermöglichen? Wäre es nicht vorstellbar, dass eine atypische, und damit auch unverbindlichere Beschäftigung die Abhängigkeit der Arbeitnehmer/innen vom Unternehmen reduziert, dass diese Form der Beschäftigung vor neuen Formen der Ausbeutung (Selbstausbeutung, indirekte Führung, dezentrale Verantwortung, Zugriff auf die gesamte Persönlichkeit) schützt und so die Unabhängigkeit der Individuen stärkt? Wenn dieser Gedanke zumindest in Teilen plausibel ist, dann wäre es nötig, die Bedingungen herauszuarbeiten, unter denen diese Potenziale wirksam werden. Dazu gehören zumindest die finanzielle und soziale Absicherung der Beschäftigten.

Die Arbeitsgruppe diskutiert Daten und Projekte, die atypische oder ungewöhnliche Beschäftigungsformen empirisch beschreiben und versucht Bezüge untereinander sowie zu bestehenden Forschungslinien herzustellen.

Beiträge

Freitag

  • Ambivalente Flexibilität – Crowdworker*innen zwischen selbstbestimmter Arbeit und kapitalistischer (Selbst-)Verwertung auf digitalen Plattformen
    Eltje Gajewski, Universität Duisburg-Essen

  • Optionen post-Fordistischer, “prekärer” Lebensweisen im urbanen Lebensraum Berlin
    Tanja Jecht, Universität Bielefeld

  • Ambivalenzen von Freiwilligenarbeit – bergen Freiwilligenarbeit und atypische Beschäftigung emanzipatorisches Potenzial oder werden sie zur Erwerbsarbeit ohne Lohn?
    Carolin Mauritz, Technische Universität Darmstadt

  • Berufliche Veränderung in der Lebensmitte
    Stefan Rundel, Universität der Bundeswehr München

Samstag

  • Der Einfluss geschlechtsspezifischer Berufswerte auf das Arbeiten in zeitlich und räumlich entgrenzten Beschäftigungen
    Ines Entgelmeier, Universität Duisburg-Essen

 

Letzte Änderung: 26.11.2024 - Ansprechpartner: